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Über Zen und „Zen-Kontemplation“

(eine Kurzfassung dieses Interviews mit Justinus Jakobs erschien am 08.12.2024

in Ausgabe 49/2024 der Zeitung „Kirche & Leben“)



1. Was bedeutet eigentlich Zen-Meditation?


Es gibt die schon fast klassisch gewordene Kurzdefinition von P. Lassalle SJ, dem Pionier des Zen für Christen: „Sich in seinem Leibe aufrichten und in seinen Gedanken lassen“. Und das macht auch schon deutlich, dass es im Zen nicht nur um die Übung des Sitzens in Meditationshaltung geht, sondern um eine Lebenshaltung, die den Alltag durchformt. Denn in all unserem Tun und Lassen ist es möglich und geht es darum, sich leiblich aufzurichten und die Gedanken zu lassen. Die Übung des Sitzens im engeren Sinn, das sog. Zazen, ist zunächst eine Praxis des absichtslosen Daseins in Stille und darin auch eine Initiation dieser aufrichtigen und gelassenen Lebenshaltung, die P. Lassalle wohl gemeint hat. Indem wir in Stille sitzen, üben wir uns gleichsam ein in diese viel ganzheitlichere Praxis, die immer mehr unser ganzes Leben verwandeln soll. Es gibt unterschiedliche Spielarten, das zu befördern. Manche haben die Gabe, wirklich einfach nur zu sitzen, nichts damit zu verbinden und sich gewissermaßen von jeder Aktivität loslösen zu lassen. Wir nennen das Shikantaza, vielleicht die schwierigste Spielart, die den meisten Übenden erst im Laufe der Zeit möglich wird. Etwas zugänglicher ist das Verfolgen des Atems in gelöster Konzentration. Das kann auch mit einem stillen inneren Zählen der Atemzüge verbunden werden, was es etwas leichter macht, mit der Aufmerksamkeit beim Atem zu bleiben. In einigen Schulen des Zen, wie etwa auch in der unseren, der Sanbo-Schule, wird das Sitzen mit der inneren Ausrichtung auf ein sog. Koan verbunden, also eine dieser „Rätselgeschichten“, die zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören und die auf der Ebene unseres binär arbeitenden diskursiven Verstandes nicht lösbar sind. Sie lassen gleichsam all unsere gewohnten Konzepte, mit denen wir sie zu ergründen versuchen, „gegen die Wand laufen“, zu der hin wir ja auch konkret sitzen. Eine Weise des Losgelöstwerdens von unseren mentalen Einstellungen, die uns so zu verändern vermag, dass wir gleichsam selbst zu einer Lösung des Koans werden. Dadurch, wie wir da sind, schweigen und reden, handeln und lassen, „zeigen“ wir die Lösung. Es ist angeraten, sich von einem erfahrenen Zen-Lehrer auf das Gleis der für mich passenden Übung setzen und auf diesem Weg begleiten zu lassen. Auch um möglicherweise schädigende Nebenwirkungen zu vermeiden, zu denen es in jeder unerfahren und unbedacht angewandten Form der Meditation kommen kann. In keinem Fall aber dürfen wir Zen auf Sitzmeditation reduzieren. Es ist wichtig, dieses Sitzen im Alltag zu üben, aber noch wichtiger ist es, dass unser Alltag zu einer Übung wird, um es mit einem Buchtitel von Graf Dürckheim zu sagen.



2. Welche Vorzüge hat Meditation für den Alltag?


Dogen Zenji (1200-1253), einer der bedeutendsten alten Meister der Zen-Tradition, sagt über Zen: „Dies ist nicht nur Üben im Sitzen, sondern wie ein Hammer, der die Leere anschlägt -vorher und nachher klingt sein feiner Klang überall hin“. Das ist eine sehr reale Erfahrung von Menschen, die mit Sitzmeditation vertraut sind: Dass eine gelöste und dichte Erfahrung, wirklich mit sich selbst, dem eigenen Leben und allen Wesen verbunden zu sein, mit denen wir unser Leben teilen, sich durch den Alltag zieht. Das ist eine sehr konkrete und sehr körperliche Erfahrung, z. B. aus der Übung des Sitzens heraus auch im Alltag mit dem eigenen Atem im Kontakt zu sein, ihn ein und ausgehen zu spüren, auch wenn ich mich gar nicht bewusst darum bemühe und darauf konzentriere, sondern einfach das tue, was gerade zu tun ist. Wir erleben, wie davon eine Veränderung unserer Wahrnehmung ausgeht. Wir erleben uns selbst, die anderen, die Dinge, irgendwie leichter, feiner, durchsichtiger. Alles wird beweglicher, schmiegsamer. Ganz natürlich und unwillkürlich geht davon eine größere innere Freiheit aus, in alltäglichen Situationen weniger unseren konditionierten Reaktionsmustern folgen zu müssen. Die Chancen, z. B. eine aufsteigende Wut nicht herausschreien, in einen Chat oder ein Soziales Netzwerk schreiben zu müssen, werden größer. Es wird möglich, sie einfach körperlich als die Energie zu spüren, die sie ist. Mir bewusst zu werden, worum es mir in dieser Situation eigentlich positiv geht. Und so die Kraft dieser Emotion zu nutzen, um mich dafür offen und friedfertig einzusetzen, statt reflexartig abzuwehren, was mir im Weg zu stehen scheint. Auch Druck und Stress, die von alltäglichen Aufgaben ausgehen, werden weniger lastend und treibend erlebt, sondern eher wie eine Wolke, die weiterzieht, wenn ich mir erlaube, tiefer zu spüren, wie ich eigentlich selber mit diesem „To do“ umgehen will. Das ist alles nicht spektakulär und unterscheidet sich von daher sehr von den mächtigen Reizen, die tagtäglich auf uns einströmen. Und doch erleben wir es als eine stille, innere Kraft, als eine Freude, die bisweilen sogar ein Lächeln in unser Gesicht zaubern kann, das wir nicht selber gemacht haben.



3. Sie leiten die Münsteraner Regionalgruppe des Programms „Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation“ und bieten damit einen Weg der Hinführung zur gegenstandslosen Stille-Meditation an. In der Integration von buddhistischer Zen-Tradition und christlicher Kontemplation soll der Weg der Glaubenserfahrung zu einem Lebensprogramm im Alltag werden. Wie ist diese Verbindung der buddhistischen und christlichen Meditation entstanden?


Indem ein Christ sich unter der Leitung eines weltoffenen buddhistischen Meisters von der östlichen Weise der Meditation ansprechen ließ. Dieser Christ war der schon angesprochene P. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle, Jesuit und Japan-Missionar. Und der Buddhist war Yamada Roshi, Leiter einer Zen-Laiengemeinschaft (damals: Sanbo Kyodan, heute: Sanbo Zen) in Kamakura, Japan. Beide waren sie gezeichnet durch das Erlebnis der Atombombe von Hiroshima am 6.8.1945, deren Überlebende und Zeugen sie waren. Über die kulturelle Prägekraft hinaus entdeckte P. Lassalle im Zen die Möglichkeit einer Vertiefung im Glauben und lud in den 70er Jahren interessierte Christen (Ordensleute, Priester, Laien) ein, nach Japan zu kommen. Darunter war der Pallottiner Johannes Kopp (1927-2016), der 1972 begann, Meditationskurse im Bistum Essen anzubieten und damit den Grundstein für das Programm „Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation“ legte. Der Bindestrich zwischen „Zen“ und „Kontemplation“ war sein Lebensmotto: Östliche und westliche Meditationsweisen sollen sich IM Übenden gegenseitig befruchten, also so etwas wie ein intra-religiöser Dialog. Der damalige Bischof von Essen war befreundet mit P. Lassalle und die Gemeinschaft der Pallottiner förderte in der nach-konziliaren Aufbruchszeit das Interesse ihres Mitbruders. Beheimatet waren die Kurse bis vor zwei Jahren im Kardinal-Hengsbach-Haus in Essen-Werden, das ja inzwischen vom Bistum verkauft wurde. Heute zählt das Programm ca. 20 Lehrer und Mitarbeiterinnen und hat seinen Sitz am Meditationszentrum in Hattingen/Ruhr. Die Sesshins (mehrtägige Kurse) finden in Klöstern und Bildungshäusern statt. Viele Menschen - in ökumenischer Offenheit und in ihrer Selbstwahrnehmung oft außerhalb oder an den Rändern der Kirchen - treffen sich wöchentlich zu einem Abend der Stille in Regionalgruppen. Gerade hierin wird der große Wert von „Realisierung der Meditation im Alltag“ deutlich.



4. Wie sehen Sie die Verbindung von Zen-Buddhismus und Christentum?


Das ist eine große und komplexe Frage, zu der es unzählige hoch differenzierte und leider auch allzu vereinfachende Antwortversuche gibt. Eine ausreichend differenzierte Antwort zu geben, würde mich – mindestens an dieser Stelle – überfordern. Und es spricht für sich, dass solche Klärungsversuche nie zu einem befriedigenden Abschluss gekommen sind und wohl auch nie kommen werden. Eine vereinfachte Antwort könnte ich nicht verantworten und Antworten und Verantworten sind aufeinander bezogen. Zu groß ist die Gefahr, neuen Fehldeutungen, Einseitigkeiten, Missverständnissen, Kränkungen und Spaltungen Nahrung zu geben. Deshalb nur so viel: Aus meiner Sicht sollte es in der Verhältnisbestimmung weder Über- oder Unterordnungen, noch Vereinnahmungen oder Ausschlüsse, noch Vermischungen oder Spaltungen geben. Z. B. kann nach meinem Verständnis etwa von einem „christlichen Zen“ nicht verantwortlich gesprochen werden. Zen ist ohne Frage in der Kultur und auf dem Boden des Buddhismus entstanden und eine Form, in der sich der Buddhismus ausdrückt und realisiert. Das kann und darf man sich als Christ nicht einfach aneignen. Die Unterschiede einzuebnen, würde auf beiden Seiten zu Irritationen, Verunsicherungen und Verlusten führen, die man sich – v.a. im Hinblick auf die konkreten Menschen, die diese Wege mit existentiellem Ernst gehen – nicht wünschen kann. Die Unterschiede hin zu einer Spaltung zu verzeichnen, widerspräche zutiefst dem Selbstverständnis beider Wege. Persönlich neige ich am ehesten dazu, Christentum und Buddhismus in ihren Unterschieden zu würdigen und diese weniger polar als komplementär zu verstehen. Beide könnten sich aneinander spiegeln und sich so auf dem je eigenen Weg in eine größere Ganzheitlichkeit herausfordern lassen. Dann wäre das Verhältnis gerade in seiner bleibenden Unterschiedlichkeit und Komplementarität auf eine nicht-ausschließende und nicht-vereinnahmende, je eigene Integration hin angelegt. So erlebe ich auch meine eigene Zen-Praxis als Christ. Sie schließt mich auf zu einer aufrichtigeren und ganzheitlicheren Form meines Mensch- und Christseins. Ich nehme darin das Angebot der vielen buddhistischen Lehrer und Lehrerinnen an, die in den letzten Jahrzehnten den Zen-Weg auch westlichen und christlichen Menschen angeboten und darin weder eine Verfremdung des eigenen Buddhismus‘ noch eine „feindliche Übernahme des Christlichen“ gesehen oder versucht haben, sondern einen universalen Friedensdienst. Auch wenn nicht alle Buddhisten das so sehen mögen, scheint es eine legitime Möglichkeit zu sein, den Zen-Weg auch auf eine weltanschaulich neutrale oder durch eine andere religiöse Tradition geprägte Weise zu gehen und ihn als ein freiendes Geschenk des Buddhismus an die Menschen aller Orte, Zeiten, Kulturen, Weltanschauungs- und Glaubensweisen zur Realisierung ihres wahren Menschseins und ihrer je eigenen Identität dankbar anzunehmen.



5. Im Ablauf von mehrtägigen Zen-Kursen besteht die Möglichkeit, an einem Gottesdienst teilzunehmen. Auf welche Weise kann die Zen-Meditation eine Möglichkeit sein, die christliche Liturgie, und das Gebet wiederzuentdecken oder zu erleben?


Nach meiner Erfahrung ist Zen eine Möglichkeit, uns überhaupt wieder liturgie- und gebetsfähig zu machen. Denn die überflutenden und nach außen ziehenden Dynamiken unserer spätmodernen Lebensweise haben uns der Liturgie und dem Gebet entfremdet. Nur noch wenigen sind sie ein natürliches inneres Bedürfnis, das sie auf eine gelöste, intuitiv und instinktiv selbstverständliche Weise vollziehen können. Allenfalls bemühen wir uns darum und versuchen, uns aus gewohnten Überzeugungen heraus willentlich dafür zu disponieren. Dass wir aber nicht „darin“ sind, sondern zerrissen und gespalten unseren allzu vielen und oft widersprüchlichen Lebenswirklichkeiten verhaftet, spüren wir selbst bisweilen schmerzhaft und man sieht es unserem Gottesdienstfeiern und Beten oft schon aus der Ferne an. Die Zen-Praxis macht uns einfach, schafft wieder eine spürbare Verbindung mit unserem inneren Menschen und seiner Sehnsucht und öffnet uns dafür, sie intuitiv und instinktiv zum Ausdruck zu bringen. Sie räumt uns auch so leer, dass wir die alten Texte der Liturgie und des Betens inwendig und gleichsam mit unserem Körperbewusstsein neu zu hören vermögen. Auf einmal können die Zeichen und Worte uns wieder erreichen, wieder ankommen. Das Beten wird zu einem innerlichen, oft wortlosen Beten, einem Seufzen aus unserem tief empfundenen Leben heraus, und die Liturgie zu einem natürlichen Fluss, in dem wir uns bewegen lassen. Das macht die Eucharistiefeiern im Rahmen unserer Sesshins, also unserer Intensiv-Kurse, zu tief existentiellen Erfahrungen.



6. Der Pionier des Zen für Christen, der lange in Japan lebende Pater Hugo Lasalle, ließ sich vom buddhistischen Zen-Meister Kôun Yamada schulen und wurde zum Zeugen dafür, dass Christen auf dem Weg der Zen-Kontemplation zur Erfahrung des gegenwärtigen „Christus IN euch“ gelangen können. Wie erklären Sie diese Spiritualität?


Dass Christus in uns wohnt, ist nicht zuerst ein Glaubenssatz, auch nicht etwas, was wir erst nach langem Mühen und Üben erfahren können. Es ist vielmehr immer schon unsere innerste Wirklichkeit, unser wahres Selbst, da anzutreffen, wo wir wirklich wir selber sind, eins mit uns und dem anderen. Von daher ist diese Spiritualität keine Spiritualität des Bekennens und letztlich auch nicht des Bemühens und der Übung, wenn sie als Leistung empfunden oder missverstanden werden. Es ist eine Spiritualität, in der wir einfach unser gewöhnliches Leben leben, in der wir tun, was zu tun ist, in der wir sind, was wir eben gerade sind, und damit immer mehr einverstanden sind. Es ist keine Spiritualität der angestrebten Veränderung. Es ist vielmehr eine Spiritualität des Aufwachens in dem Sinne, dass ich anfange zu realisieren, was eigentlich ist und wer ich eigentlich bin. Und was es da zu entdecken gibt, ist oft überhaupt nicht angenehm. Es ist auch gerade nichts Besonderes. Es ist das Allergewöhnlichste. Und in dem Maße, in dem es mit der Zeit möglich wird, all das, was sich da zeigt, anzunehmen, es gleichsam zu umarmen und ins eigene Herz zu nehmen, werde ich dessen inne, dass ich das gar nicht selber tue, dass es die Wirkung einer Kraft ist, die tief in mir liegt und die ich nicht selber bin, die wie aus dem Nichts heraus in mir wirkt. Darin liegt die Ahnung dieser Dimension des „gegenwärtigen Christus IN mir“, der mich genau so gewollt und angenommen hat, wie ich mich da vorfinde.



7. In einigen Klöster in Deutschland wie im Benediktiner-Kloster Gerleve werden Zen-Kurse angeboten. Durch die gemeinsame Zen-Praxis soll Christen die Möglichkeit gegeben werden, zu einer vertieften Gotteserfahrung zu kommen. Was macht ein Kloster zu einem besonderen Ort für den Zen?


Das, was wir heute wieder an diesen Orten zu schätzen zu wissen, ihre Ästhetik, ihre Stille und vielleicht auch eine Atmosphäre des geistlichen und geistigen Ernstes kann ebenso eine Hilfe für die Zen-Praxis sein wie ein Hindernis. Eine Hilfe, wo sie uns mit dieser Dimension des Unverfügbaren in Kontakt bringt, auf die die Klöster verweisen. Auch da, wo Klöster Menschen sehr konkret einen Schutzraum dafür anbieten, sich ihrer eigenen unverfügbaren Wirklichkeit zu stellen, was ein verletzlicher Prozess ist, in dem jeder sich in gewisser Weise aussetzt, feinfühlig und dünnhäutig wird. In dem Maße also, in dem Klöster eine Hut dafür sind, Leben und Tod wieder als die „ernsten Dinge“ zu erfahren und zuzulassen, die sie tatsächlich sind, wie es im Nachtruf bei unseren Sesshins heißt. Aber diese Orte können auch zum Hindernis werden, wenn sie uns durch die faszinierenden und auch wohlig-fremd gewordenen Ingredienzen ihrer vermeintlich idealen Welt – Choralgesänge, Weihrauch, kostbare Gewänder und Bücher – letztlich ablenken und nach außen ziehen. Für den Zen-Übenden bleibt das ambivalent: All das kann uns helfen, uns „in unseren Gedanken zu lassen“, es kann aber auch zu einem Teil dieses großen spirituellen Jahrmarkts werden, auf dem wir heute unterwegs sind und Identitätsanleihen machen.



8. Einige Ordensleute, die die Zen-Meditation praktizieren, können sich ein eigenes christliches Zen-Kloster vorstellen. Was ist von diesem Wunsch zu halten?


Persönlich sehe ich das so wie gerade schon angedeutet: ambivalent. Natürlich wäre es großartig, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen in den unterschiedlichsten Lebensformen und Berufen einander in der Übung im Alltag und in der Übung des Alltags unterstützen und dabei immer mehr zu einer wirklichen Lebensgemeinschaft werden. Aber man sollte äußert nüchtern damit umgehen. Das Leben in Gemeinschaft ist die anspruchsvollste Übung. Und das wird auch nicht anders sein, wenn die Zen-Praxis ihr Zentrum sein soll. Klöster sind auch mächtige Archetypen, die uns schneller, als wir es mitkriegen, in die Schatten unserer Idealisierungen ziehen. Und auch Zen-Klöster wären vor den abgründigen Erfahrungen vieler sog. Geistlicher Gemeinschaften nicht gefeit, die daran gescheitert sind – oftmals ohne es sich einzugestehen. Es stimmt schon, in Japan ist Zen traditionell in Klöstern beheimatet und die vagabundierenden Formen, in denen wir Zen praktizieren, haben dort zunächst auch Vorbehalte ausgelöst. Ob es aber möglich ist, diese wahrscheinlich auch sehr andere Form von Kloster hier im Westen zu etablieren? Da wäre ich skeptisch und würde eher auf die ausgesetzte Praxis des Nicht-Besonderen setzen, die wir vielleicht auch brauchen, um uns in der westlichen Kultur mit ihren untergehenden religiösen Großprojekten wieder ehrlich zu machen.



9. Sie sind katholischer Theologe, haben einige Zeit als Mönch in benediktinischen Mönchsgemeinschaften gelebt und verfügen über eine langjährige Praxis in Zen-Meditation, Yoga und anderen Formen der Körpermeditation. Ihr Lebensweg ist spirituell geprägt. Was raten Sie anderen Menschen, die auf der Suche nach sich selbst und nach Gott sind?


Stellen Sie sich der eigenen Sehnsucht und dem eigenen Schmerz. Haben Sie den Mut, da hinein zu spüren. Nehmen Sie sich damit ernst. In beidem liegt Ihr Reichtum und liegt Ihre Würde. Bleiben Sie damit nicht allein. Wir brauchen einander, um vertrauen zu lernen, wo wir wirklich mit uns selbst in Kontakt kommen. Lassen Sie sich helfen, sich damit anzunehmen und darin ihre eigene Spur zu finden. Ob diese Hilfen Psychotherapie, Lebensberatung oder Geistliche Begleitung heißen, ist zwar nicht unbedeutend, aber letztlich nicht entscheidend. Entscheidend ist eine menschlich integre, erfahrene, (fach-)kundige und ausschließlich an Ihnen selbst orientierte Begleitung, in der sie sich wirklich gesehen fühlen und die Ihnen hilft zu unterscheiden. Üben Sie Distanz zum Besonderen, zu den starken Reizen und Effekten, zu den hochfahrenden Idealen. Üben Sie die kleine Treue in dem, was Sie zu leben unternommen haben: im einfachen Tun dessen, was dieser Moment, dieser Mensch und dieses Wesen jetzt von Ihnen braucht. Darin werden sinnvolle Zusammenhänge, Sinn-Zusammenhänge, sichtbar, denen Sie folgen dürfen. Lassen Sie die unzähligen Spaltungen (Gott oder Mensch, Gott oder Ich, Gott oder die Welt, Ich oder die anderen, personal oder a-personal, geistlich oder alltäglich, Christentum oder Buddhismus, Zen oder Gebet …) ins Leere laufen. Sie sind schon bei sich und bei Gott, auch wenn es gerade nicht angenehm ist und Sie sich das anders vorgestellt haben. Schließen Sie Frieden mit sich. Und üben Sie zu glauben: Der und die und das andere – ich bin wie sie.



10. Die Stille ist eine wunderbare Lehrerin – heißt es gelegentlich. Andere sprechen von der Kraft des Schweigens. Braucht die Kirche eine neue Mystik oder eine Wiederentdeckung ihrer eigenen mystischen Tradition?


Zumindest bin ich mir sicher, dass in dieser Tradition noch viele ungeborgene Schätze liegen. Die Kirche hatte bei aller Ehrfurcht immer auch Angst vor der Mystik. Die Mystik entsteht eben da, wo Menschen sich der Unverfügbarkeit des Lebens stellen und anheimgeben. Und die Gotteserfahrungen, die sie dabei machen, sind nicht nur ebenso unverfügbar sondern auch unkontrollierbar. Auch wenn es so oft zitiert wurde, dass man es nicht mehr hören mag: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein“, hat Karl Rahner schon vor mehr als 40 Jahren gesagt. Aber ist der abgründige Ernst seines Satzes wirklich verstanden worden – „oder er wird nicht mehr sein“? In gewisser Weise ist das heute Wirklichkeit geworden. Aus meiner Sicht, weil wir uns zu lange und noch heute an vermeintlich objektive Formen geklammert haben. Aber „Form ist nichts andere als Leere“ wie es in einem Schlüsseltext des Zen, dem Herz-Sutra (chinesische Fassung von 401/2), heißt. Und wo Menschen nicht zuerst Einladung und Geleit erfahren, sich der Leere zu stellen, mit der wir alle früher oder später in unserem Leben konfrontiert werden, und gerade diese Leere als heilsam zu erfahren, da brechen die Formen früher oder später in sich zusammen. Und das ist es, was die Kirche in dieser Zeit erlebt. Der Mystiker aber ist nach Rahner „einer, der etwas erfahren hat“. Der die eigene Leere und die Leere aller Dinge erfahren hat und mit der Ahnung in Kontakt gekommen ist, dass genau da, wo wir eigentlich nicht hinwollen, der „gegenwärtige Christus In uns“ anzutreffen ist. So dass dann auch die andere Hälfte jenes Satzes aus dem Herz-Sutra sich bewahrheitet: „Leere ist nichts anderes als Form“. Wo wir uns allen Ernstes dieser Erfahrung aussetzen und andere darin begleiten, können dann vielleicht auch wieder Formen entstehen, die wir als Menschen sicher brauchen. Formen aber, die sich nicht selbst genügen, die nicht dazu da sind, uns in ihnen einzurichten und aus ihnen unsere Identität zu beziehen,  sondern Formen, die Menschen auf den eigenen Grund kommen lassen, auf dem Gott wohnt.



Die Regionalgruppe Münster des Programms „Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation“ ist dem Zen-Institut Münster e. V. sehr dankbar für seine Gastfreundschaft und die Möglichkeit, in dessen Zendo zu meditieren. Dem Zen-Institut sind wie auch unserer Regionalgruppe alle Menschen willkommen, die sich auf die Übungspraxis der Zen-Meditation einlassen oder sie kennen lernen möchten. Während wir dabei besonders Menschen mit einem christlichen Hintergrund ansprechen, versteht das Zen-Institut sein Angebot, auch wenn es in der Tradition des Zen-Buddhismus steht, ausdrücklich als weltanschaulich nicht gebunden. Wir empfehlen gerne auch die dortigen Angebote unter https://www.zen-muenster.de/.



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